Asexuell – was heißt das eigentlich?

asexuell

Laut wissenschaftlicher Definition bezeichnet Asexualität die Abwesenheit sexueller Anziehung und/oder den Mangel an Interesse, beziehungsweise Verlangen nach Sex. Doch auch asexuelle Menschen leben nicht immer sexuell abstinent: Auch wenn kein sexuelles Begehren vorhanden ist, wird Sexualität auch von asexuellen Menschen in manchen Fällen mit einem Partner gelebt.

Die häufigsten Gründe dafür sind Kinderwunsch oder eine Beziehung mit einem nicht asexuellen Partner. Aber warum sind Menschen asexuell? Und wie lebt es sich als Asexueller? Fehlt da nicht was?

Asexualität gibt es bei beiden Geschlechtern

Sowohl Frauen, als auch Männer können asexuell sein. Asexuelle unterscheiden sich in Hinblick auf die Stärke ihrer sexuellen Erregbarkeit bzw. der Häufigkeit von erlebter Erregung. Für manche Asexuelle ist Erregung ein gewöhnlicher Vorgang – er ist nur nicht an die Suche nach einem Sexualpartner gekoppelt. Betroffene masturbieren dann, haben aber keinerlei Verlangen nach Geschlechtsverkehr. Andere asexuelle Menschen erleben Erregung lediglich als ein Ärgernis, das ignoriert wird. Wieder andere empfinden selten und wenig oder überhaupt keine Erregung.

Asexuelle Menschen haben entweder noch nie Sex gehabt, oder nach einigen Versuchen für sich festgestellt, dass Sex etwas ist, was sie schlichtweg nicht brauchen. Was für Menschen mit einem natürlichen Sexualtrieb unvorstellbar klingt, ist für viele Asexuelle Realität: Null Bock auf Sex – und das für immer!

Natürlich ist es in unserer übersexualisierten Gesellschaft nicht einfach, Sex einfach auszublenden. In jeder Werbung, in jedem zweiten Song, in vielen Büchern und Filmen ist Sex Thema, Modetrends und Schuhe sind sexy, und sexuelle Lust ist über Datingplattformen wie Tinder & Co immer leichter zu befriedigen.

Sex sells – und durch einschlägige Plattformen steigt die Tendenz, guten Sex als Basis einer Beziehung zu akzeptieren – und sei es auch ‚nur‘ einer (zunächst) sexuellen Beziehung. Und darüber offen zu sprechen……Doch wie verhält man sich, wenn man diesbezüglich schlicht nichts zu berichten hat?

Eine asexuelle Frau berichtet

„Ich hatte noch nie Sex – und auch nicht das Bedürfnis danach“, sagt Mona. „Kein Petting, geschweige denn Geschlechtsverkehr, ich habe auch noch nie jemanden geküsst“- und Mona hat auch nicht das Gefühl, etwas zu verpassen. Sie führt ein glückliches Leben und vermisst nichts. Würde sie nicht wissen, dass anderen Menschen Sex haben, würde sie sich auch rundum wohl und vollständig fühlen. „Ich hatte noch nie das Bedürfnis, anderen Menschen körperlich nahe zu sein“, sagt die 37-Jährige.

Schon in der Pubertät merkte das junge Mädchen, dass sie anders war als Gleichaltrige. Während ihre Mitschüler die ersten erotischen Erfahrungen sammelten, und es unheimlich wichtig war, mit ‚jemanden zu gehen‘, blieb Mona cool.

„Ich sah keinen Grund, mir einen Freund zu suchen! Die Vorstellung, einem anderen Menschen nackt zu begegnen, ihn innig zu berühren, oder gar meine Zunge in einen fremden Mund zu stecken, schreckte mich ab. Klar wusste ich, was Sex ist und dass er für alle anderen unheimlich wichtig ist, aber ich fühlte diesbezüglich nichts.

Auch bei Sexszenen in Filmen sah ich einfach weg und tue das heute noch. Das interessiert mich einfach nicht und erzeugt auch keinerlei Gefühle bei mir. Mit dem Begriff Erotik kann ich nichts anfangen, ich bin einfach asexuell,“ so Mona, die seit einiger Zeit in einer Beziehung mit einer anderen asexuellen Frau lebt.

Verlieben sich Asexuelle?

Ja, auch asexuelle Menschen können sich verlieben – auf ihre eigene Weise. Die unmittelbare erotische Anziehung existiert zwar nicht, aber Romantik und ‚Seelenverwandtschaft auf geistiger Ebene‘ können zu Verliebtheit und platonischer Schwärmerei führen. Dauerhafte Beziehungen im ‚Real Life‘ werden daraus aber selten.
Zu gering ist die Chance, ‚zufällig‘ auf einen anderen asexuellen Menschen zu treffen – der Partnerpool ist klein und die Chance, Gleichorientierte zu finden, nicht besonders groß. Alle anderen verstehen die Asexualität des Partners meist nicht.

Oder sie verstehen es intellektuell, was aber noch lange nicht heißt, dass man das dann auch so leben kann, wie man sich das vielleicht vorstellt. Entweder der ’sexuell gesunde‘ Partner zweifelt an seiner eigenen sexuellen Attraktivität, weil er den asexuellen Partner nicht ‚umdrehen‘ kann, – was natürlich zu Kränkungen führt – oder der asexuelle Partner verbiegt sich, und macht einfach mit – auch ohne Lust. Beides keine guten Voraussetzungen für eine dauerhaftgute Beziehung.

Austausch mit Gleichgesinnten

Erfahrungsberichte anderer Asexueller zu lesen, und sich endlich verstanden zu fühlen, wird als Hauptgrund für den Besuch einschlägiger Foren genannt. Der Austausch mit gleich Empfindenden ist essentiell; die Erkenntnis, dass es auch anderen Menschen gibt, die auf Sex verzichten, wirkt befreiend und erleichternd.

Endlich weiß man, dass man mit seiner Asexualität nicht ganz alleine da steht. Nicht zuletzt führen Kontakte über das Internet auch zu Partnerschaften zwischen Asexuellen: Dort finden sich Seelenverwandte, die ohne körperliche Nähe gemeinsam durchs Leben gehen möchten.

Ist Asexualität ein Leiden?

Über die Verbreitung von Asexualität ist recht wenig bekannt, man geht davon aus, dass 1-2% der Menschen keine sexuelle Anziehung erleben. Aber die Zahlen sind nicht valide, ist Asexualität doch noch nicht lange als Begriff etabliert – und auch nicht ganz einfach abgrenzbar.

Bei sexueller Unlust raten Therapeuten zu Recht zunächst dazu, erst einmal organische Ursachen für Luststörungen abzuklären. Während man Asexualität früher ’nur‘ als Luststörungen und immer als Begleiterscheinung von körperlichen Erkrankungen wie Diabetes oder Depressionen angesehen hat, anerkennt man sie heute als eigenständige Kategorie der sexuellen Orientierung.

Zwar wird physisch keine Libido empfunden – Betroffenen fehlt also nichts – , aber oft erleben sie aufgrund gesellschaftlicher Erwartungen Leidensdruck. Psychologen kritisieren, dass sich in unserem Alltag zunehmend alles um Sex drehe, und dieser auch in seiner Wirkung überbetont werde. Sätze, wie „Wer Sex hat, wird älter, Sex senkt den Blutdruck, Sex macht einen frischen Teint…“ und so weiter, setzt Asexuelle unter Druck, obwohl sie von sich aus kein sexuelles Verlangen verspüren.

Die „Verweigerung des ehelichen Verkehrs“ war im Übrigen in Deutschland bis 1977 ein Scheidungsgrund. Die Schuld an der Eheauflösung hatte natürlich der enthaltsame Ehepartner zu tragen – etwa durch Zahlung von Unterhalt oder Verlust von Ansprüchen.

Heute haben Asexuelle ihren Platz in der Gesellschaft gefunden. Asexualität ist einfache eine weitere Spielart der Natur in verschieden starken Ausprägungen. Zunehmende Enttabuisierung des Themas führt dazu, dass auch Menschen mit dieser spezifischen (a)sexuellen Orientierung verstärkt Akzeptanz erleben – und das ist gut so!

[abo]

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