Bei sexuellen Tabus gehen die Meinungen auseinander – die einen meinen, sie sind dazu da, um gebrochen zu werden, die anderen meinen, Sex ohne Tabus – das geht gar nicht. Wir haben uns des Themas angenommen und für und wider analysiert. In aller kürze: gut, dass es sexuelle Tabus gibt, noch besser, dass diese auch gebrochen werden können, wenn sich alle Beteiligten einig sind, dass sie das wollen.
Oversexed
Die kontinuierliche Enttabuisierung von Sex, seine Allgegenwart in der Literatur, der Öffentlichkeit, in der Werbung, im Fernsehen und in der Presse ist nicht zu leugnen. Installateurbetriebe, Baumärkte, Autokonzerne, aber auch Sportmodenhersteller, pharmazeutische Betriebe, öffentliche Verkehrsmittel, ja sogar politische Parteien, Fernsehshows und Elektronikbetriebe – ’sex sells‘ und ist scheinbar allgegenwärtig. Allerdings hat das nicht dazu geführt, dass mehr Sex praktiziert wird, sondern dazu, dass den Menschen die Lust darauf offensichtlich mehr und mehr vergeht.
War früher alles besser? Hatten die Menschen in der ‚guten alten Zeit‘, die ja angeblich so verklemmt war, mehr Sex? Peter Fiedler, klinischer Psychologie und Psychotherapeut an der Universität Heidelberg, schreibt dazu: „In dem Maß, wie die traditionelle Sexualmoral mit ihren Verboten, Sanktionen und Schuldgefühlen verschwand, machte sich scheinbar Langeweile breit. Offensichtlich besaßen gerade die unerfüllten, oft verbotenen oder tabuisierten sexuellen Wünsche und Bedürfnisse eine große Triebkraft.“
Sexuelle Tabus als Voraussetzung einer ‚Kultur der Lüste‘?
Sexualität, die im Heimlichen zu geschehen hat, hat nach Fiedlers Deutung erheblich zur wechselseitigen Anziehung der Geschlechter beigetragen. Sexuelle Elemente, aber eben nicht offen zur Schau gestellt, sondern zart umschrieben, waren auch Kernelement der Künste, von schöngeistiger Literatur, sowie von Oper und Operette. Heute hingegen scheint in Sachen Sex fast alles möglich. „Die öffentlichen, teils banalen Dauerdarstellungen von und über Sexualität tragen dazu bei, dass ein wichtiges Element sexueller Lust und Begierde verloren geht.“
Grenzverschiebung
Je mehr möglich und gesellschaftlich ‚akzeptiert‘ ist, desto mehr werden neue Grenzen gesucht. In Zeiten von Dating Apps und Werbung zu Seitensprungportalen zur Hauptabendzeit,ist es kaum mehr vorstellbar, dass früher schon ein one-night-stand ein außergewöhnliches Abenteuer, das einen gewissen Mut erforderte, war. Klar ist: was vor einigen Jahrzehnten noch als ‚unaständig ‚verdorben‘ bzw. ‚pervers‘ galt, ist heute oft schon Mainstream. Aber gibt es denn überhaupt noch sexuelle Tabus? Gefesselt, erniedrigt, als Domina, zu dritt mit einem Unbekannten, anal.. .. sind das die Tabus von heute?
Tabu – heilig oder unantastbar?
In seiner ureigentlichen Bedeutung meint das polynesische Wort „Tabu“ sowohl „heilig“ als auch „unantastbar“ – es beschreibt also im doppelten Sinne das Unberührbare. Heute ist mit „Tabu“ vor allem ‚Unbekanntes‘ gemeint. Doch in einer Welt, in der Pärchen in Latexkorsagen und Handschellen Werbung für die Erotikmesse ums Eck machen und von jedem zweiten Laternenpfahl lächeln, wird es immer schwieriger, Tabus für sich zu entdecken.
Tatsache ist: Wirkliche Tabus gibt es nicht mehr. Sexuellen Neigungen aller Art werden ausgelebt, diskutiert, analysiert – und zwar nicht nur in einschlägigen Zeitschriften, sonder quer über alle Medien. Es bleibt nichts übrig, was noch schockieren oder im Geheimen reizen könnte. Von krankhaften Perversionen wie etwa Pädophilie, Nekrophilie, Sodomie bzw. Zoophilie oder ähnlichem, einmal abgesehen.
Sein und Schein – Wunsch und Wirklichkeit
Doch lustvolle Grenzüberschreitung ist längst nicht so verbreitet wie angenommen. Über die Hälfte der 30-Jährigen hatte zwar schon „Sex in der Öffentlichkeit“, aber nur 21 Prozent experimentierten mit Dildos, nur 19 Prozent mit Handschellen, geschweige denn anderen Bondagemethoden.
Auch der flotte Dreier ist in der Fantasie beliebter als in der Realität: 31 Prozent der Frauen und 58 Prozent der Männer werden bei der Vorstellung einer Ménage à trois erregt, doch nur 6 Prozent der Frauen und 13 Prozent der Männer haben sich tatsächlich schon mal getraut. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit klafft also eine Riesenlücke.
Generell gilt: Alles geht, solange alle Beteiligten einverstanden sind und keine Gefühle verletzt werden. Fantasien, die als zwingendes Bedürfnis empfunden werden, sollten jedenfalls angesprochen, bei beidseitigem Einverständnis ruhig auch mal ausprobiert werden.
Sexuelle Tabus – gibt’s das überhaupt (noch)?
Wir werden sexuell immer aufgeschlossener. Sex vor der Ehe ist für die meisten ganz normal und für rund ein Viertel der Österreicher sogar ein ‚must‘, um Erfahrung zu sammeln. Sex beim ersten Date ist mehrheitsfähig und laut einer aktuellen Umfrage nur für 18 Prozent ‚tabu‘ – wobei es hier deutliche Geschlechterunterschiede gibt: Männer haben so gut wie nie Vorbehalte bei einem one-night stand.
Das unkomplizierte Sex-Prinzip „Friends with benefits“ erachten 41 Prozent für akzeptabel, Sex mit – mehreren – Fremden ist weniger beliebt: Nur 15 Prozent würden einen Swinger Club gerne mal von innen sehen bzw. zu einer Sexparty gehen, aber nur 1 Prozent der befragten Damen finden entsprechende Etablissement und Festivitäten so ansprechend, dass sie das Erlebnis gern wiederholen möchten.
Apropos: Für 42 Prozent ist Sex mit mehr als einem Partner grundsätzlich tabu.
Doch wie schaut’s aus mit erotischen Experimenten in festen Partnerschaften? Rund die Hälfte aller Paare experimentieren mit lukullischen Köstlichkeiten beim Sex – Schlagobers auf der Haut, Schokolade oder süße Früchte zum Anknabbern, zum Lecken und Schlecken sind durchaus beliebt. 51 Prozent binden Bondagespiele ins Liebesspiel ein – die andere Hälfte lehnt Fesselspiele allerdings dezidiert ab. Pornos werden vo nüber 60 Prozent der Paare als Inspirationsquelle genutzt.
Oralsex: Der Blowjob gehört für rund 55% der Frauen zumindest ab und zu dazu, das Gegenstück zur Fellatio, der Cunnilingus wird von 59 Prozent in einer Beziehung und immerhin von 32 Prozent auch mit wechselnden Partnern genossen.
Weniger weibliche Begeisterung gibt es beim Thema Analverkehr: Für 44 Prozent ist er tabu. 24 Prozent haben die Sexpraktik bereits ausprobiert, aber kein Interesse daran sie zu wiederholen, 18 Prozent sind prinzipiell nicht abgeneigt, haben das Abenteuer aber noch vor sich und nur 13 Prozent finden Analverkehr gut.
Selbstbefriedigung vor dem Partner? 38 Prozent sind der Ansicht, dass Selbstbefriedigung vor dem Liebsten ein toller Anheizer beim Sex ist und Lust auf mehr macht. Weitere 24 Prozent nutzen die kleine Showeinlage, um zu zeigen, was sexuell gefällt.
Fetischismus
Verpackt in Lack und Leder, gefesselt und geknebelt, in aufreizenden Dessous oder aufwändigen Uniformen, verkleidet, in Rollenspiele versunken, auf Knien rutschend, oder demütig gebückt – „Fetischismus“ in allen Varianten.
Zum ‚gut‘ ausgelebten Fetischismus gehören immer zwei und wenn der Fetisch ein gesundes Seelenleben zulässt und in einer funktionierende Partnerschaft ausgelebt werden kann – wunderbar! Die meisten Erscheinungsformen des Fetischismus setzen niemanden einer Gefahr aus, seine Spielarten sind meist harmlos. Oft dreht sich der Fetisch um Kleidungsstücke – speziell Schuhe, Pelze, Leder- oder Latexkleidung. Teilen zwei den gleichen Fetisch werden sie viel Spass miteinander haben!
Podophilie & Exkrementophilie
Auch die Körperausscheidungen von Menschen können zum wahren Fetisch werden. Bei Natursektspielen – auch als „Pissing“ oder „Wet-Games“ bezeichnet – wird der Urin in das erotische Spiel eingebaut.
Zum einen geht es darum, dem Partner dabei zuzusehen, wie er sich erleichtert, bzw. sich einer ‚goldenen Dusche‘ zu unterziehen und anpinkeln zu lassen. Der intensivste Part beim Fetisch des Natursektes ist es, den Urin des Partners zu trinken – am Besten direkt und frisch von der ‚Quelle‘.
Eine andere Spielart der Exkrementophilie ist die Praktik des „Kaviars“. In Fachkreisen nennt man diese Vorgehensweise auch Scat Sex, Wissenschaftler hingegen bezeichnen es als Koprophilie oder Kopropraxis. Auch hier gibt’s die drei oben genannten Ausprägungen – der einzige Unterschied ist, dass es sich dabei um das „große Geschäft“ handelt.
Bei sexuellen Praktiken mit den Füßen wird zwischen footjob „Fußarbeit“ (Reizung mit dem ganzen Fuß), toejob „Zehenarbeit“ (Reizung nur mit den Zehen) und shoejob „Schuharbeit“ (Stimulation mit Schuhen) unterschieden. Im BDSM-Bereich bezeichnen sich Anhänger des Fuß-Fetisch als Fußsklaven und Fußdiener. Auch hier gilt: erlaubt ist, was beiden gefällt – ob Trampling oder Fußkitzler, probieren Sie es doch aus!
Fazit
Allgemein gültige sexuelle Tabus gibt’s nicht mehr – lediglich dort, wo der Gesetzgeber Grenzen setzt, ist Schluss! Ansonsten gilt: es ist erlaubt, was – beiden, bzw. allen Beteiligten – gefällt!
Ein Fetisch, der zwanghafte Züge annimmt, und nicht von beiden Partnern ‚gelebt‘ und ‚geliebt‘ wird, kann allerdings die Lebensqualität der Betroffenen massiv beeinträchtigen. Nicht jeder will jedes Tabu brechen! Wenn aber alle Beteiligten glücklich sind – warum nicht? Reden Sie mit Ihrem Partner über Ihre Wünsche, und testen Sie aus, was möglich ist. Probieren Sie’s – vielleicht finden Sie ja an Sexpraktiken Freude, die Sie bisher noch gar nicht in Erwägung gezogen haben. Aber sagen Sie auch ‚Stopp‘, wenn Ihnen etwas nicht gefällt.
Umgekehrt gilt natürlich auch: Sie müssen auch ein ‚Nein‘ Ihres Partners akzeptieren, wenn Sie mit Ihren Wünschen die Grenzen des anderen überschreiten. Alles ist erlaubt, aber nicht jeder muss alles mögen! Und ein ‚Nein‘ ist ein Nein‘ und meint ein ‚Nein‘. Und falls das ‚Nein‘ bei Ihren sexuellen Spielchen eigentlich ein ‚Ja‘ meint, dann machen Sie sich bitte ein anderes Code-Wort aus, um dem Partner ein ‚Stopp‘ zu signalisieren.
Wenn klare Regeln definiert sind, steht dem sexuellen Vergnügen in allen Ausprägungen nichts mehr im Wege. Sexuelle Tabus gelten, wenn Sie sie definieren. Alles ist erlaubt, aber nichts ‚muss‘. Und das Wichtigste zum Schluss: Schützen sie sich! Sex mit unbekannten oder wechselnden Partnern ist gefährlich! Kondome sind Pflicht!
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